Seit einem Jahr betreibt Senem Samanci mit ihrem Mann drei Hörakustik-Filialen in Bochum. Beide haben sich während der Ausbildung kennen- und lieben gelernt. Den Beruf hat sie von ihrem Vater erlernt, der als Hörakustikermeister eine der Filialen betreut. Ihr Mann Selim Samanci, ebenfalls Hörakustikermeister, hat sich aufgrund eigener familiärer Erfahrungen mit Hörverlusten für diesen Beruf entschieden. Eine richtige Hörakustiker-Familie also.

Liebe Frau Samanci, was hat Sie dazu bewegt, den Beruf einer Hörakustikermeisterin auszuüben?

Ich wollte einen Beruf ausüben, bei dem ich Menschen helfen kann. Während eines Besuches in einem Seniorenwohnheim habe ich gemerkt, dass ich den Umgang mit älteren Menschen sehr mag. So habe ich beschlossen, meinem Vater über die Schultern zu schauen. Das hat mir sehr gefallen.

Sind es meist ältere Menschen, die zu Ihnen kommen?

Ja, die meisten sind über 50 Jahre. Viele Menschen kommen jedoch leider zu spät. Oft wird der Hörverlust nicht sofort bemerkt und man gewöhnt sich daran, schlechter zu hören. Das geht eine Weile gut, da unser Gehirn viel kompensiert und wir daher die Bedeutung des Gesagten im Sinnzusammenhang begreifen. Zusätzlich lesen wir von den Lippen ab. Daher ist es zunächst nicht schlimm, wenn wir einzelne Laute, wie zum Beispiel den Buchstaben F nicht mehr hören. Es beeinträchtigt unseren Alltag nicht wesentlich. Wer jedoch zu lange wartet, riskiert, dass das Gehirn einige Klänge für immer verlernt. Es kann dann – um noch einmal das Beispiel aufzugreifen – den Buchstaben F nicht mehr verarbeiten. Das funktioniert dann auch mit einem Hörgerät nicht mehr. Wir verstehen stattdessen nur noch ein nuscheln.

Kann unser Gehirn diese Klänge mit einem Hörgerät wieder erlernen?

 Nein, was das Gehirn einmal verlernt hat, ist für immer weg. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Hörverlust zusätzlich an Demenz zu erkranken, deutlich höher. Denn je weniger Sie hören, desto weniger Reize bekommt Ihr Gehirn. Daher empfehle ich, bereits mit 40 Jahren einen Hörtest zu machen, entweder beim Hals-Nasen-Ohren Arzt oder bei einem Akustiker. Der Test ist kostenlos. Mit einem Hörgerät wird verhindert, dass das Gehirn weitere Töne verlernt. Vor allem aber hört man wieder besser.

Was sind die ersten Anzeichen eines Hörverlustes?

Erste Anzeichen sind zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, dass alle anderen nuscheln, sodass Gespräche zunehmend anstrengend werden, wenn der Fernseher immer lauter gestellt wird, wenn bekannte Stimmen am Telefon nicht wieder erkannt werden, wenn die Türklingel öfters überhört wird und natürlich, wenn die Angehörigen immer öfters rückmelden, dass das Hören nachlässt. Allerspätestens dann sollte man sich an einen Arzt oder Akustiker wenden.

Was meinen Sie, warum viele damit warten?

Für viele Menschen ist es nicht einfach, einen Hörverlust zu akzeptieren. Hörgeräte haben kein gutes Image im Gegensatz zu Brillen. Diese sind mittlerweile zu einem Modeaccessoire avanciert. Man trägt und zeigt sie gerne. Bei einem Hörgerät ist das anders. Das verbinden die meisten im übertragenen Sinne mit der „90-jährigen Großmutter“, die eins hatte und wollen sich eben damit nicht identifizieren. Doch irgendwann sind die Hörprobleme so gravierend, dass sie den Lebensalltag stark beeinträchtigen. Ein Hörverlust behindert die Kommunikation mit anderen Menschen. Man gerät immer mehr in die Isolation oder kann sogar seinem Beruf nicht mehr adäquat nachkommen.

Für viele ist es ein Schock, wenn sie ein Hörgerät von ihrem Arzt verordnet bekommen oder von ihren Angehörigen zu uns geschickt werden. Das ist keine leichte Situation. Doch genau an diesem Punkt holen wir unsere Kunden ab. Dafür ist ganz viel Feingefühl wichtig. Wenn man zu zweit in einer winzigen Hörerkabine sitzt und über Ängste und Sorgen spricht, entsteht Vertrauen. Oft reden wir irgendwann auch über ganz andere Dinge als Hörgeräte. Daran merke ich, dass ein sehr schönes Vertrauensverhältnis entstanden ist.

Mit welchen Ängsten kommen die Kunden zu Ihnen?

Meist ist es die Angst davor, was andere denken könnten, wenn sie das Hörgerät entdecken. Das geht manchmal soweit, dass mit dem Gedanken gespielt wird, die Haare wachsen zu lassen oder sich keinen Zopf mehr zu binden.

Wie gehen Sie mit den Ängsten um?

Ich sage dann immer: „Niemand schaut Ihnen auf die Ohren, außer ich.“  Ich zeige ihnen dann erst einmal, was wir an Hörgeräten haben und erkläre ihnen die wichtigsten Funktionen, zum Beispiel, dass man Hörgeräte jetzt auch mit dem Smartphone koppeln und damit Musik hören kann oder welche Akkus sie brauchen. Dann dürfen sie die Geräte für ungefähr zwei Wochen ausprobieren. Wir stellen das Smartphone ein, wenn nötig. Wir geben eine Fernbedienung mit, wenn nötig. Dann kommen die Kunden wieder und geben mir Rückmeldung. So können wir das Gerät anders einstellen oder ein anderes ausprobieren. Meistens sagen sie dann freudig: „Hat keiner gesehen.“

Woran erkenne ich das richtige Hörgerät?

Das erarbeiten wir mit jedem Kunden gemeinsam. Manche finden gleich das richtige Gerät. Andere brauchen eine längere Testphase mit unterschiedlichen Geräten. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Wichtig ist, dass es bestmöglich eingestellt ist. Das bedeutet, Das Gerät muss zu den individuellen Lebensgewohnheiten passen und ein besseres Hören ermöglichen. Bei diesem Prozess begleiten wir unsere Kunden. Der Preis spielt dabei eine untergeordnete Rolle, denn „teuer“ bedeutet nicht automatisch „besser hören“. So mancher ist mit einem Kassengerät bereits sehr zufrieden, andere wiederum brauchen etwas anderes. Uns ist wichtig, dass die Kunden auch morgen und in den nächsten Jahren damit glücklich sind.

Das macht für uns den Unterschied zwischen verkaufen und beraten. Beraten hat mit dem Verkaufspreis nicht viel zu tun. Wenn man berät, sind die Kunden zufrieden und dann ist das ein Selbstläufer. Sie kommen sehr gerne wieder zu uns, fragen wie es uns und unseren Familien geht und empfehlen uns weiter. Das ist unsere Philosophie: Beraten, nicht verkaufen.

Wie begleiten Sie Ihre Kunden weiter, nachdem sie das Gerät bekommen haben?

Durch unseren kostenlosen Service. Wir reinigen das Gerät, stellen das Gerät neu ein und wechseln Batterien. Unsere Hörgeräteakustikermeister stehen mit Fachwissen und unseren eigenen Werkstätten immer an ihrer Seite.

Welche Hörgeräte übernehmen die Krankenkassen?

Die Krankenkasse zahlt einen Festbetrag. Wer ein teureres Hörgerät haben möchte, muss die Differenz selbst übernehmen. Aber wie bereits erwähnt: Teuer ist nicht gleich besser. Es muss passen.

Liebe Frau Samanci, vielen Dank für das Gespräch.